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Was zum Benko?!

Ist die Pleite des Immobilienmoguls ein Einzelfall oder braut sich an den Märkten gerade etwas zusammen?

«Immobilieninvestor René Benko ist pleite!» - wie man kürzlich überall lesen konnte. Beim Überfliegen der Schlagzeile dürfte gedanklich bei vielen kurz die kleinste Geige der Welt ertönt sein; bevor man sich wieder den wesentlichen Dingen im Internet, wie den Oskar-Verleihungen und lustigen Katzenbildern, zugewendet hat. Wenn Milliardäre Bankrott gehen, hält sich das Mitleid in Grenzen. Wenn die Meldung – wie beim Gründer der umstrittenen Signa Gruppe – nicht völlig überraschend kommt, besonders.

Und trotzdem – oder gerade deshalb – lohnt sich in diesem Fall ein Blick hinter die Kulissen: Gut möglich, dass Benko ein unglücklicher Einzelfall war. Aber vielleicht braut sich an den weltweiten Immobilienmärkten momentan auch etwas zusammen. Und die Signa Gruppe war das erste Opfer.

Dieser Frage gehen wir im aktuellen Marktbericht nach: Dabei verraten wir dir das Grundrezept für eine ordentliche Immobilienkrisen, die Ursache für die aktuelle Nervosität an den europäischen Immobilienmärkten und weshalb dich womöglich doch mehr mit René Benko verbindet als eure innige Freundschaft zu Basti Kurz.

Zutat 1: Kredite

Kredite sind die Basis der Bauwirtschaft. Kaum eine Immobilie – ob privat oder gewerblich – wird von der Eigentümerin selbst vollständig finanziert. Der grössere Teil einer Liegenschaft wird in der Regel über Kredite finanziert.

Stell dir vor, du möchtest ein Haus für eine Million Schweizer Franken kaufen. Üblicherweise wirst du nur einen Teil von gut zwanzig Prozent des Kaufpreises – also etwa 200‘000 Franken – selbst aufbringen. Die restlichen 800‘000 Franken leihst du dir in Form eines Hypothekarkredits von einer Bank aus. Ähnlich – wenn auch oft etwas komplizierter – funktioniert das auch bei der Entwicklung kommerzieller Immobilienprojekte, dem Kerngeschäft von Benkos Signa Gruppe.

Grundsätzlich gilt: Je höher der Kredit, den man auf eine Immobilie aufnehmen kann, desto weniger eigenes Kapital benötigt man für den Kauf und desto höher die Rendite, die man durch Vermietung erwirtschaften kann. Gerade professionelle Immobilieninvestoren haben also ein natürliches Interesse daran, einen möglichst grossen Teil ihrer Immobilien über Kredite zu finanzieren.

Die Praxis, eine Investition teilweise mit Fremdkapital zu finanzieren, nennt man in der Finanzwissenschaft «Leverage». Der Leverage (oder Hebel) einer Anlage ist das Verhältnis zwischen dem Fremdkapital – also dem Kredit – und dem Eigenkapital – also dem Geld, das man selbst einbringt. In unserem vorherigen Beispiel liegt der Leverage bei vierhundert Prozent (CHF 800‘000 / CHF 200‘000): Man nimmt also viermal so viel Kredit auf, wie man selbst zur Finanzierung beisteuert.

Der Leverage erhöht dabei sowohl die Rendite als auch das Risiko einer Anlage. Der Grund: Stell dir vor, dein Haus gewinnt um 20 Prozent an Wert und ist neu 1.2 Millionen Wert. Weil du nicht eine ganze Million investiert hast, sondern 200‘000 Franken, machst du in diesem Fall mehr als 20 Prozent Gewinn: Wenn du das Haus zum neuen Preis verkaufst und den Kredit von 800‘000 Franken an die Bank zurückbezahlst, bleiben 400‘000 Franken übrig – und damit 100 Prozent mehr, als du ursprünglich dafür bezahlt hast. Für jeden Franken, den du mit deinem eigenen Geld verdient hast, verdienst du vier Franken mit dem aufgenommen Fremdkapital. Du profitierst also vollständig von den Wertschwankungen des Hauses, während der Bankkredit immer konstant bleibt.

Dieses Spiel funktioniert allerdings auch in die andere Richtung: Das Risiko nimmt ebenfalls zu. Verliert dein Haus um 20 Prozent auf 800‘000 Franken an Wert, reicht das gerade noch für die Rückzahlung deines Kredits. Dein gesamtes investiertes Kapital wurde dann aber aufgebraucht. Das heisst, du hast in diesem Fall nicht nur einen Verlust von 20 Prozent, sondern von 100 Prozent erlitten. Bei einem Investment mit Fremdkapital dient dein Eigenkapital als Puffer, der die gesamten Wertschwankungen deiner Anlage absorbiert – positiv oder negativ.

Infografik - Eigenkapital als Puffer gegen Wertschwankungen

Gefährlich wird es, wenn die Immobilienmärkte so stark einbrechen, dass dein Eigenkapital komplett aufgebraucht wird – in unserem Beispiel also um mehr als 20 Prozent. Dann ist dein Haus weniger als 800‘000 Franken wert. Das heisst, selbst, wenn du das Haus verkaufst, reicht das Geld nicht mehr aus, um den Kredit zurückzubezahlen. Weil die Bank ihren Kredit absichern möchte, hat sie die Möglichkeit, dich zu zwingen, zusätzliches Eigenkapital einzuschiessen – man nennt diesen Vorgang an den Finanzmärkten einen «Margin Call». Falls du kein Geld dafür hast, kann die Bank dein Haus verkaufen lassen und den Verkaufserlös an den Kredit anrechnen, um weitere Verluste zu vermeiden. Hast du ausreichend Erspartes, um dein Eigenkapital aufzustocken, behältst du das Haus, bis sich die Immobilienpreise (hoffentlich) wieder erholen konnten. In der obigen Darstellung haben wir diesen Mechanismus illustriert.

Zutat 2: Mehr Kredite

Diesem Umstand ist die Anfälligkeit des Immobilienmarktes für Krisen geschuldet, wie wir später sehen werden. Denn grundsätzlich kann man in jede Anlage mit Leverage investieren. Im Immobiliensektor ist dies allerdings im Vergleich zu anderen Anlageklassen wie Aktien keine exotische Strategie, sondern der Standard. Und entsprechend – auch unter Privatpersonen – weit verbreitet.

Über die letzten fünfzehn Jahre verstärkte sich der Anreiz zur Fremdfinanzierung noch weiter: Die tiefen Zinsen, mit denen die Nationalbanken die Wirtschaft seit der Finanzkrise von 2007 zu stützen versuchten, machten die Finanzierung von Immobilien historisch günstig. Dadurch stieg die Nachfrage nach Wohneigentum, das Kreditvolumen und schliesslich auch die Immobilienpreise stark an. In der Schweiz hat das Hypothekenvolumen seit 2010 zum Beispiel um zwei Drittel zugenommen, während die Immobilienpreise sich beinahe verdoppelt haben, wie du in der Grafik erkennst.

Infografik - Die Hypothekenvolumen steigen - Und die Immobilienpreise folgen

Institutionelle Immobilieninvestoren wie Benko machten sich das billige Geld ganz besonders zu Nutze und wurden dabei offenbar teilweise kreativ: Die Signa Gruppe kaufte und entwickelte nicht nur Immobilienprojekte wie den vorerst gescheiterten Elbtower in Hamburg, ihr gehörten auch Teile von Warenhausketten wie Globus, Galeria Karstadt Kaufhof oder dem Luxuskaufhaus KaDeWe in Berlin. An diese Kaufhausketten vermietete die Signa Gruppe ihre gewerblichen Immobilien und zwang sie offenbar, unüblich hohe Mieten zu bezahlen. Auf den ersten Blick ein Nullsummenspiel. Der Grund dafür war aber wohl, dass die Gruppe durch die erhöhten Mieteinnahmen die entsprechenden Liegenschaftspreise künstlich teuer rechnen und dadurch mehr Kredite darauf aufnehmen konnte.

Durch diese Praxis verstärkte Signa den ohnehin bestehenden Trend von steigenden Immobilienpreisen und Kreditvolumen – und gleichzeitig das Risiko ihres Immobilienportfolios.

Zutat 3: Sinkende Nachfrage

Während dem Bauboom des letzten Jahrzehnts gab es auch früh schon skeptische Stimmen, die vor einer Überhitzung des Immobilienmarktes warnten: Je höher die Immobilienpreise steigen, desto grösser die Gefahr einer Korrektur. Werden Immobilien zu teuer, finden sich irgendwann keine Käufer mehr und die Nachfrage bricht ein.

Dazu kommen strukturelle Veränderung, die in Zukunft auf die Nachfrage drücken könnten: Einerseits führt der Digitalisierungstrend dazu, dass immer mehr online eingekauft wird. Dadurch reduzieren sich die Umsätze der Detailhändler und damit die Zahlungsbereitschaft für Mieten. Besonders für teure Immobilien in den Innenstädten. Dieser Trend wurde durch Covid noch zusätzlich verstärkt, weshalb sich immer mehr Läden schwer damit tun, ihre Mieten zu bezahlen. In der Folge stieg die Leerstandsquote von Gewerbeimmobilien und ihre Preise sanken. In Europa und insbesondere in Deutschland wurde diese Entwicklung während den vergangenen Monaten immer deutlicher sichtbar.

Wohnimmobilien sind vom Digitalisierungstrend zwar weniger betroffen, aber auch dort hat Corona und der Ukraine-Krieg zu einer Entwicklung geführt, die in Zukunft auf die Preise drücken könnte: Die Inflation der vergangenen Jahre könnte zu einem Kaufkraftverlust des Mittelstandes und damit zu einer reduzierten Nachfrage nach Häusern und Eigentumswohnungen führen; immer weniger Leute wären dann in der Lage, neben den Alltagskosten zusätzlich für ein Eigenheim zu sparen.

Zutat 4: Steigende Zinsen

All dies wäre womöglich noch kein Grund zur Sorge. Allerdings ist in den vergangenen Monaten eine letzte Zutat hinzugekommen: steigende Zinsen.

Wie wir immer wieder geschrieben haben – zuletzt in unserem Januar-Marktbericht «Abpfiff! So lief 2023 an den Märkten.» – versuchten Nationalbanken weltweit die Inflation durch Leitzinserhöhungen zu bekämpfen. Mit weitreichenden Folgen für den Immobilienmarkt:

Infografik - Zinsen und Leerstandsquoten steigen - Gewerbeimmobilien in Deutschland unter Druck

Steigen die Leitzinsen, steigen auch die Hypothekarzinsen. Dadurch wird die Finanzierung von Immobilien teurer, der Bau und Kauf unattraktiver, die Nachfrage und die Preise sinken. Dabei bleibt es aber nicht immer. Im schlimmsten Fall tritt dadurch ein Teufelskreis in Kraft, der zu einer Immobilienkrise - oder sogar zu einer ausgewachsenen Finanzkrise - führen kann.

Zubereitung: Backstein-Domino

Eine strukturell sinkende Nachfrage und steigende Zinsen führen einerseits zu einem Preiseinbruch bei Immobilien. Andererseits führen die erhöhten Zinsen dazu, dass die Refinanzierung von bestehenden Immobilien teurer wird: die Hypothekarzinsen steigen. Einige Immobilieneigentümer – wie Benkos Signa Gruppe - können sich dies nicht mehr leisten und müssen deshalb womöglich ihre Häuser oder Wohnungen verkaufen. Dadurch steigt das Angebot und die Immobilienpreise sinken weiter.

Werden die Wertverluste dadurch so gross, dass sie die typische Eigenfinanzierungsquote – in unserem obigen Beispiel 20 Prozent – übersteigen, wird es kritisch. Dann sind die Banken gezwungen, von ihren Kreditnehmern zusätzliche Sicherheiten zu verlangen, um die Verluste zu decken: Es kommt auf breiter Front zu «Margin Calls». Viele Immobilienbesitzerinnen werden davon überrascht und haben nicht genügend finanzielle Mittel, um das zusätzliche Geld einzuschiessen. In einem solchen Fall muss die Immobilie – wie eingangs erwähnt – verkauft werden. Dadurch steigt das Angebot an Immobilien weiter und es kommt zu einem Teufelskreis: Zusätzliche Immobilienbesitzer müssen Geld nachschiessen, es kommt zu weiteren Ausfällen und Verkäufen und die Preise sinken immer schneller.

In einer nächsten Eskalationsstufe weitet sich die Krise dann auf die finanzierenden Banken aus, die ebenfalls damit beginnen, Immobilien und andere Anlagen auf die Märkte zu werfen, um ihre Verluste zu decken. Je mehr Kredite vergeben wurden und je höher der Fremdfinanzierungsanteil dabei war, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass aus der Immobilienkrise eine ausgewachsene Finanzkrise wird. So ähnlich lief übrigens auch die globale Finanzkrise von 2007 ab, auch wenn damals nicht ein Zinsanstieg der Hauptauslöser war.

Kommt es zur europäischen Immobilienkrise?

So schlimm steht es momentan offensichtlich aber nicht. Die Aktienmärkte entwickeln sich seit einiger Zeit wieder stabil und die Unsicherheit hat im letzten Jahr spürbar abgenommen. Die Zinswende scheint absehbar, was nicht nur Aktien- und Obligationenanlegerinnen freut, sondern auch die Situation auf den Immobilienmärkten etwas entschärfen sollte. Derzeit rechnen deshalb die meisten Ökonomen nach wie vor mit einer weichen Landung der Weltwirtschaft – was vor einigen Monaten noch unwahrscheinlich schien.

Trotz diesem freundlicheren Umfeld sollte man aber den europäischen Gewerbeimmobilienmarkt aktuell nicht aus den Augen lassen. Die Signa Gruppe hat sich verspekuliert; das beschriebene Umfeld und insbesondere die steigenden Zinsen haben aber wohl auch ihres dazu beigetragen, dass es so weit kommen konnte. Insofern sollte man die Ereignisse als Warnsignal deuten und sich der aktuell heiklen Lage an den Immobilienmärkten bewusst sein.

Für dich bedeutet das vor allem eines: Wenn du nicht das gleiche Schicksal erleiden möchtest wie Benko, solltest du bei der Finanzierung deiner Immobilie in Szenarien denken. Die erforderliche Eigenkapitalquote ist nicht nur da, um dich zu ärgern: Wenn die Immobilienmärkte einbrechen, ist sie deine Lebensversicherung. Möchtest du ganz sicher gehen, solltest du aber noch etwas zusätzliches Geld auf der Seite haben, das du im Notfall einschiessen kannst. Denn Immobilien können – wie du gesehen hast – zwischenzeitlich ähnlich stark an Wert verlieren wie Aktien. Ein Eigenkapitalpuffer von 20 Prozent ist dann schnell aufgebraucht.

Und vielleicht noch wichtiger: Denke daran, dass die Zinsen auch deutlich steigen können, ohne dass es gleich zu einer Immobilienkrise kommt. Dann musst du zwar nicht direkt Geld nachschiessen, du solltest aber genügend Einkommensreserven haben, um die gestiegenen Hypothekarzinsen langfristig bezahlen zu können.

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