Hose runter, Dagobert!
Wir wagen einen Blick ins Portfolio von Warren Buffett und verraten dir, was das über die Märkte aussagt.
Normalerweise ordnen wir an dieser Stelle das Geschehen an den Finanzmärkten für dich ein. Wir recherchieren, rechnen und beleuchten den Hintergrund. Aber nicht dieses Mal. Dieses Mal sind wir zu faul. Stattdessen überlassen wir diese Arbeit anderen, die es mindestens so gut wissen müssen: den Gurus der Wallstreet.
Denn wenn man wissen möchte, wie sich die Märkte entwickeln, kann man entweder schauen, wie sich die Märkte entwickeln. Oder man fragt die Finanz-Gurus. Dass es sich dabei um Geheimniskrämer handelt, ist nicht schlimm. An einem Ort lassen nämlich alle die Hose runter: vor der «Securities and Exchange Commission» (SEC) – der US-Börsenaufsicht.
Die SEC möchte verstehen, was an den Märkten passiert und wie professionelle Investoren darauf reagieren. Deshalb müssen Hedge Funds und andere grosse institutionelle Anleger bei der SEC quartalsweise das Formular-13F einreichen. Darin legen die Investment-Gesellschaften ihre Anlagen offen: Das Formular-13F enthält eine vollständige Auflistung der einzelnen Portfolio-Positionen, inklusive ihrer Gewichte. Daran sieht man nicht nur, welche Anlagen hoch im Kurs stehen, sondern es lassen sich über die Zeit auch Trends erkennen, die verraten, wie die Geldmanagerinnen die Entwicklung der Märkte sehen.
Und genau das möchten wir dir in diesem etwas anderen Marktbericht zeigen. Deshalb haben wir in die Hosen(taschen) der Investorenlegenden geschaut. Damit du es nicht musst. Gärngscheh!
Wen haben wir uns angeschaut?
Damit das ganze auch Sinn macht, haben wir uns nicht irgendwelche glücklose Donalds angeschaut, sondern sechs richtig dicke Dagoberts und ihre Investment-Gesellschaften: Warren Buffett von Berkshire Hathaway, Cliff Asness von AQR, Ray Dalio von Bridgewater, Ken Griffin von Citadel, James Simons von Renaissance und Julian Robertson* von Tiger Global. Sie alle gehören zu den erfolgreichsten Hedge-Fund-Managern aller Zeiten und verwalten zusammen nicht nur Hunderte von Milliarden Kundengelder, sie sind selbst auch Milliarden schwer.
Zudem reichen sie alle ihre 13F-Formulare pflichtbewusst bei der SEC ein. Das letzte Mal zum Stichtag per 31. Juni 2023. Wir haben diese analysiert, sie mit den Daten per Ende 2022 verglichen und dabei viel Spannendes, Lustiges und vor allem einige eindeutige Trends entdeckt.
Die Lieblingsaktien der Legenden
Wenn man sich die Portfolio-Positionen der sechs Manager anschaut, fallen vor allem zwei Dinge auf: Big-Tech dominiert und Warren Buffett liebt, liebt, liebt Apple. Das ist zwar kein Geheimnis, denn er erzählt gerne bei jeder Gelegenheit davon – zum Beispiel in diesem Business Insider Artikel – aber trotzdem bemerkenswert, weil mittlerweile mehr als sein halbes Portfolio aus Äpfeln besteht. Etwas, das wohl selbst Ernährungsberaterinnen nicht empfehlen würden (denken wir). Immerhin ist er mit seiner Euphorie nicht völlig allein: Apple schafft es bei vier der sechs Investoren in die Top 10, respektive sogar aufs Treppchen.
Ähnlich beliebt ist, etwas erstaunlicher, der Facebook-Konzern Meta. Auch er schafft es viermal in die Top 10 und einmal – ebenfalls mit Überzeugung – ganz nach oben: Tiger Global hält über 20% seines Portfolios in Meta-Aktien. Daneben sind aber auch die anderen Big-Techs gefragt: Microsoft, Alphabet (Google), Amazon und Nvidia finden sich bei drei der sechs Legenden in den Top 10. Der Einzige, der noch nicht vollends von den neuen Technologien überzeugt scheint, ist Ray Dalio von Bridgewater. In seinen Top 10 findet sich kein Big-Tech, dafür alles, was Amerika-Liebhaber sentimental werden lässt: Procter & Gamble, Johnson & Johnson, Coca Cola, Pepsi, Costco, McDonalds und Walmart.
Hello Big-Tech! Ade Corona, Gold und Warren!
Spannend ist auch, wie sich die Portfolios seit Ende letzten Jahres verändert haben: Big-Techs waren zwar damals schon im Trend, der Appetit hat aber deutlich zugenommen. Fast alle Manager haben ihre Gewichte in diesem Sektor nochmals erhöht. Die beiden grössten Gewinner sind Meta und Nvidia, die bei fünf respektive vier der Investoren zu den wichtigsten Zukäufen gehören. Nvidia gilt als einer der grössten Profiteure des KI-Hypes, weil ihre Grafikprozessoren, die ursprünglich vor allem im Gaming-Bereich stark eingesetzt wurden, die notwendige Rechenleistung für die riesigen KI-Modelle liefern. Daneben haben die Investoren aber auch ihre Positionen in fast allen anderen Big-Techs erhöht. Mit einer Ausnahme: Amazon scheint in der Investorengunst gefallen zu sein. Gleich zwei der sechs Manager haben ihre Positionen im Unternehmen von Jeff Bezos deutlich reduziert.
Womit wir bei den Verlierern wären. Dort zeigen sich zwei interessante Trends und ein Funfact: Die Legenden verabschieden sich im grossen Stil von Pfizer und Moderna – den beiden bekannten Produzenten von Corona-Impfungen – von Gold und von Warren Buffetts Berkshire-Hathaway-Aktie. Was man daraus lesen kann, wenn man möchte: Corona ist für die Investorenlegenden endgültig vorbei, eine Absicherung der Aktienmärkte durch Gold scheint nicht mehr länger notwendig und auch ihnen reicht ein Apfel pro Tag. Zuletzt gehören – nach der Bankenkrise rund um die Silicon Valley Bank im März kaum erstaunlich – auch Banken wie Wells Fargo oder die Bank of America zu den wichtigsten Absteigern.
Das grosse Ganze
Die Analyse von Einzelpositionen kann zwar den einen oder anderen spezifischen Trend zum Vorschein bringen. Ein vollständiges Bild bietet aber nur ein Blick auf die aggregierten Portfolio-Eigenschaften. Deshalb haben wir uns vier Kennzahlen und ihre Entwicklung über die Zeit etwas genauer angeschaut:
- Die durchschnittliche Grösse der Portfolio-Unternehmen, gemessen an ihrer Marktkapitalisierung. Zur Einordnung: Es gibt weltweit rund 50 Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von über 200 Mrd. Franken. Beispielsweise Nestlé mit 300 Mrd. oder Apple als grösstes Unternehmen der Welt mit 2'500 Mrd.
- Die Diversifikation - also, wie breit das Portfolio gestreut ist -, gemessen an der «effektiven Anzahl Positionen». Die Anzahl ist hoch, wenn ein Portfolio viele Aktien mit ähnlichen Gewichten enthält, und tief, wenn es nur wenige Aktien oder sehr hohe Gewichte in einzelnen Positionen aufweist. Zur Einordnung: Ein gut diversifiziertes Portfolio enthält in der Regel über 20 effektive Positionen.
- Die durchschnittliche Ausschüttung der Portfolio-Unternehmen, gemessen an ihrer Dividendenrendite. Unternehmen mit hoher und stabiler Dividendenrendite zählen als zuverlässige, sichere Werte. Zur Einordnung: Eine Ausschüttung von 2 Prozent oder mehr gilt als gute Dividendenrendite.
- Die Aggressivität der Portfolios, gemessen am sogenannten «Beta». Das Beta ist eine statistische Kennzahl, welche die Schwankungen und die Zyklikalität – also die Aggressivität – einer Aktie widerspiegelt. Zur Einordnung: Aktien mit einem Beta über 1 sind riskanter, Aktien mit einem Beta unter 1 sicherer als der Durchschnitt.
Und das ist dabei herausgekommen:
Big is beautiful
Die Durchschnittsgrösse der Unternehmen in den Legenden-Portfolios liegt grösstenteils über 200 Milliarden Franken. Das entspricht ungefähr der Marktkapitalisierung von Novartis – immerhin einer der grössten Pharmakonzerne der Welt. Der «Sieger» in dieser Kategorie heisst – wenig überraschend – Warren Buffett: Sein Wert von 1'444 Milliarden (1.4 Billionen) entspricht rund der halben Marktkapitalisierung der Apple-Aktie, die er zu 51% im Portfolio hält. Einzig Bridgewater und Renaissance investieren in etwas «kleinere» Titel. Aber selbst ihre Portfolio-Unternehmen weisen eine durchschnittliche Marktkapitalisierung von über 100 Milliarden auf; und sind damit immer noch deutlich grösser als die UBS. Dieser Trend hat sich im laufenden Jahr bei allen Investoren sogar noch verstärkt. In den meisten Portfolios ist die Durchschnittsgrösse um 10 bis 20 Prozent gestiegen.
Un(ei)nigkeit bei der Diversifikation
Was die Streuung der Portfolios angeht, ergibt sich ein etwas uneinheitliches Bild. AQR, Bridgewater Citadel und Renaissance weisen mit 24 bis 303 effektiven Positionen eine gute bis sehr gute Diversifikation auf. Dies ist damit zu erklären, dass es sich bei allen vier Investment-Gesellschaften um sogenannte Quant-Hedge-Funds handelt, die algorithmenbasiert und automatisiert eine sehr grosse Anzahl unterschiedlicher Wetten abschliessen. Berkshire Hathaway und Tiger Global sind dagegen Investoren alter Schule, die ihre Portfolio-Unternehmen mit grossem manuellem Aufwand überwachen. Entsprechend konzentriert sind auch ihre Portfolios. Warren Buffetts Portfolio besteht effektiv aus weniger als vier Positionen. Einen gemeinsamen Trend gibt es aber auch hier: Alle Manager haben ihre Diversifikation deutlich reduziert. Das heisst, sie haben ihre Wetten fokussiert, was meistens ein Zeichen dafür ist, dass die Unsicherheit ab- und die Zuversicht zugenommen hat.
Dividenden sind für Anfänger
Grosse Dividendenjäger sind unsere Investoren nicht: Alle sechs weisen per Ende Juni eine Dividendenrendite unter 2 Prozent für ihre Portfolios aus. Dies erklärt sich dadurch, dass sie überwiegend in Unternehmen mit Zukunftstechnologien investieren. Solche Unternehmen reinvestieren ihre Gewinne lieber in die Forschung und Entwicklung, als sie in Form von Dividenden an ihre Aktionäre auszuschütten. Dividendenstarke Unternehmen sind im Gegensatz dazu meistens Marktführer mit einem reifen und stabilen Geschäftsmodell, auf die man gerne in unruhigen Zeiten setzt. Die Tatsache, dass sich die Dividendenrendite der Portfolios seit Anfang Jahr um durchschnittlich gut 10 Prozent reduziert hat, weist deshalb ebenfalls darauf hin, dass die Manager ein freundlicheres Marktumfeld erwarten.
Der Mut ist zurück
Dafür spricht auch die grundsätzliche Ausrichtung ihrer Anlagestrategien: Alle Investoren haben im ersten halben Jahr das Risiko in ihren Portfolios deutlich erhöht. Das durchschnittliche «Beta» ist um rund 4 Prozent auf 1.03 gestiegen und liegt damit neu über dem Marktdurchschnitt. Die Manager sehen also offenbar erhöhte Renditechancen an den Märkten.
Gute Aussichten: schneller, höher, weiter!
Die Daten aus den 13F-Reports weisen auch einige Probleme auf: Erstens werden sie immer nur mit einer Verzögerung veröffentlich und bilden damit nur die Vergangenheit ab. Andererseits umfassen sie nicht alle wesentlichen Informationen: Gewisse Finanzinstrumente und der Hebel (Leverage) werden daraus nicht ersichtlich, haben aber einen deutlichen Einfluss auf die Anlageperformance. Die Resultate müssen also mit einer Prise Salz genommen werden. Trotzdem lassen sich an den Strategien der Investorenlegenden zwei klare Trends ablesen:
- Fokus auf Technologie: Die Positionen im zyklischen Technologie-Sektor wurden durchschnittlich um 6 Prozent ausgebaut, während defensivere Sektoren abgebaut wurden. Profitiert haben davon insbesondere Big-Techs wie Meta, Apple, Microsoft oder Nvidia. Dies zeigt sich auch beim Blick auf die Durchschnittsgrösse der Portfolio-Unternehmen. Durch den Run auf die Technologie-Giganten ist der Anteil an Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung über 200 Milliarden («Mega-Caps») im Durchschnitt um 5 Prozent gestiegen.
- Renditejagd: Alle Investoren haben im laufenden Jahr die Aggressivität ihrer Anlagestrategien erhöht. Dies lässt sich einerseits ganz direkt am Beta der Portfolios ablesen, das sich durchschnittlich um 4 Prozent erhöht hat. Andererseits auch an der Reduktion der Diversifikation (-20 Prozent) und der Dividendenrendite (-10 Prozent): Die Investoren gehen grössere Wetten auf Unternehmen mit grossem Wachstumspotential ein. Und bauen dafür solide und dividendenstarke Unternehmen sowie Gold ab, das als sicherer Hafen ebenfalls an Attraktivität eingebüsst hat.
All dies spricht dafür, dass Warren Buffett & Co. die Entwicklung der Märkte momentan insgesamt positiv bewerten. Mit einer Ausnahme vielleicht: Alle haben ihre Positionen in China massiv abgebaut. Die geopolitischen Unsicherheiten im Bezug auf Taiwan und die aktuellen Probleme des chinesischen Immobiliensektors haben zu einer Rückbesinnung der US-Investoren geführt: Die Reduktion von gut 2 Prozent in chinesischen Aktien wurde grösstenteils in heimische Unternehmen investiert. Ebenfalls betroffen von dieser Umschichtung ist das grösste taiwanesische Unternehmen Taiwan Semiconductor (TSMC). Mehrere Investoren haben ihre TSMC-Positionen deutlich abgebaut. Hoffentlich kein schlechtes Omen für den ostasiatischen Inselstaat.