Die glorreichen Sieben
Die Aktien der grössten Technologieunternehmen erzielen derzeit traumhafte Renditen. Was steckt hinter dem Phänomen?
Ilovestonks_97: «Hättest du 2004 beim Börsengang von Google für 10‘000 Franken Aktien gekauft, wären daraus imfall bis heute über 500‘000 Franken geworden! 😱»
Merci tuusig, Sherlock! Kaum zu glauben, dass man reich wird, wenn man direkt zu Beginn in eines der erfolgreichsten Unternehmen der Welt investiert hat.
Bestimmt haben dir auf Social Media auch schon zahllose selbsternannte Finanzexperten vorgerechnet, wie reich du sein könntest, hättest du nur die richtigen Aktien gekauft. Das ist in etwa so, wie wenn dir die Lotto-Fee voller Stolz die Zahlen von gestern verrät. Ja. Damit wärst du heute Millionär.
In der Regel läuft es allerdings anders: Wir hören bei der Influencerin unseres Vertrauens, wie reich uns Google gemacht hätte, decken uns mit Aktien ein und werden damit – Überraschung – nicht besonders reich; dafür hätte man eben ganz am Anfang einsteigen müssen.
Das stimmt eigentlich immer. Ausser im Moment. Gerade schlägt die Stunde von Ilovestonks_97 und seinen Freunden: Denn in den letzten Jahren konnte man mit den «Geheimtipps» der Vergangenheit richtig viel Geld verdienen. Alphabet (Google), Apple, Amazon, Meta, Microsoft, NVIDIA und Tesla gehören nicht erst seit gestern zu den wertvollsten Unternehmen der Welt. Zu spät für ein Investment, würde man meinen.
Allerdings liefern die sogenannten «glorreichen Sieben» seit einiger Zeit geradezu traumhafte Renditen: Seit 2020 waren die sieben Titel für den grössten Teil der Gewinne an den weltweiten Aktienmärkten verantwortlich. Sogar Star-Investoren wie Warren Buffett stürzten sich auf die bekannten Technologieunternehmen, wie wir bereits in unserem Marktbericht «Hose runter, Dagobert!» geschrieben hatten.
Grund genug, einen Blick auf die glorreichen Sieben zu werfen und zu schauen, was genau hinter dieser aussergewöhnlichen Entwicklung steckt und was sie für dich und die Finanzmärkte bedeutet.
«To the moon»
Um das Ausmass der Rallye zu erfassen, welche die sieben Technologie-Giganten kürzlich hingelegt haben, lohnt sich ein Vergleich: Während der Gesamtaktienmarkt – gemessen an einem Korb aus 1'200 der grössten Titel weltweit – seit Anfang 2020 bis Ende März 2024 59 Prozent an Wert gewonnen hat, erreichten die glorreichen Sieben eine fabelhafte Rendite von über dreihundert Prozent. Das heisst, Apple & Co. vervierfachten ihren Wert im Durchschnitt zum Vor-Corona-Niveau.
Durch diese aussergewöhnliche Entwicklung und die enorme Grösse der sieben Unternehmen – ihr Anteil am Weltaktienmarkt beträgt rund 20 Prozent – waren sie für über 50 Prozent der Gewinne seit Anfang 2020 verantwortlich: Von den 59 Prozent, die der Aktienmarkt in dieser Zeit an Wert zulegte, gingen gut 34% auf die Rechnung der glorreichen Sieben. Im Umkehrschluss: Ohne die Sieben hätte man mit globalen Aktien über die letzten vier Jahre nur etwa 25 Prozent anstatt knapp 60 Prozent Gewinn gemacht.
Aber warum eigentlich?
Wie meistens, wenn Extremes passiert, mussten dafür unterschiedliche Entwicklungen zusammenkommen. Folgende drei Ursachen waren dabei hauptverantwortlich für den beispiellosen Run auf die Technologie-Riesen:
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«Flight to Quality». In Krisenzeiten tendieren Anlegerinnen dazu, in verlässliche Werte zu investieren. Davon profitiert nicht nur Gold oder der Schweizer Franken, sondern oft auch die Aktien der grössten und bekanntesten Unternehmen. Entsprechend beflügelte das unsichere Umfeld der vergangenen Jahre auch Alphabet & Co.
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Digitalisierung. Von Apple, dem wichtigsten Anbieter von Unterhaltungselektronik, bis Tesla, das den Markt für Elektroautos dominiert: Das Potenzial der glorreichen Sieben ist schon länger bekannt. Sie alle waren bereits Weltmarktführer in einer Zukunftsindustrie. Dank Covid hat sich die Jahrzehnte alte Digitalisierungswelle allerdings massiv beschleunigt und die Zukunft früher gebracht, als erwartet.
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Künstliche Intelligenz. Daneben erlebten einige Schlüsseltechnologien kürzlich einen Durchbruch. Unter anderem die generative künstliche Intelligenz und insbesondere deren Anwendung in Sprachmodellen wie ChatGPT. Diese Kombination von steigender Nachfrage und technologischem Fortschritt beflügelte die Aktien von IT-Unternehmen gleich doppelt. Ganz besonders jene der glorreichen Sieben, denen man die Vermarktung der teuren und entwicklungsintensiven Technologien am ehesten zutraut.
Den wahrscheinlich verrücktesten Lauf legte dabei das Mauerblümchen unter den Tech-Aktien hin: Ende 2019 war ein Anteil an NVIDIA noch knapp 60 Dollar wert. Ende März wurden die Aktien dann für über 900 Dollar gehandelt; das entspricht einer schier unglaublichen Vervielfachung des Unternehmenswerts um den Faktor fünfzehn - in nur etwas mehr als vier Jahren.
Auch wenn die Grössenordnung der Gewinne bei NVIDIA besonders heraussticht, die Ursachen bleiben die gleichen. Der Produzent von hochwertigen Grafikprozessoren hat schlicht am stärksten vom KI-Hype profitiert: Während die NVIDIA-Grafikkarten früher vor allem in der Gaming-Community beliebt waren, gelten sie heute aufgrund ihrer Rechenleistung im Bereich der künstlichen Intelligenz und des Quantum Computing als unverzichtbar. Durch diese neuen Anwendungsfälle wurde NVIDIA praktisch über Nacht zu einem der vielversprechendsten Unternehmen der Welt.
Dinosaurier in der Massephase
Und zu einem der grössten: Denn wenn die Aktien steigen, steigt auch der Wert des Unternehmens und sein Anteil am Aktienmarkt. Und genau das war nicht nur für NVIDIA, sondern auch für die anderen sechs (ohnehin schon riesigen) Tech-Titel der Fall: Während der Anteil der grössten sieben Unternehmen am Gesamtaktienmarkt 2019 noch rund 13 Prozent betrug, verdoppelte sich dieser Wert bis Anfang 2024 beinahe.
Mit einem gemeinsamen Marktwert von 12 Billionen Dollar machen die glorreichen Sieben heute rund 22 Prozent des Gesamtaktienmarktes aus. Im Vergleich dazu bringen es die kleinsten 20 Prozent der 1'200 berücksichtigten Unternehmen zusammen gerade mal auf eine Bewertung von 700 Milliarden – oder etwas mehr als ein Prozent.
Wie du in der Darstellung erkennst, war die Konzentration des Aktienmarktes in der kürzeren Vergangenheit noch nie annähernd so hoch wie aktuell. Selbst Anfang der 2000er-Jahre, als viele der damals noch jungen Tech-Unternehmen zu Rekord-Bewertungen gehandelt wurden, lag der Anteil der grössten sieben Aktien am Gesamtmarkt nur bei 11 Prozent. Nach dem Platzen der DotCom-Blase nahm der Wert bis 2010 stetig bis auf 6 Prozent ab, bevor er in den 2010er-Jahren wieder zu steigen begann.
Glorios reich?
Zum Schluss drängt sich jetzt nur noch folgende Frage auf: Weisst du eigentlich, wie reich du mit den glorreichen Sieben noch werden kannst?
Die beruhigende Antwort: Wir wissen es auch nicht, Ilovestonks_97. Aber es gibt (mindestens) einen Grund, der dagegenspricht, alles auf diese Karte zu setzen: So attraktiv es derzeit scheinen mag, in grosse Tech-Aktien zu investieren, langfristig zahlt sich das statistisch nicht aus. Der sogenannte Size-Effekt besagt nämlich: «small is beautiful».
Die Aktien kleiner Unternehmen rentieren langfristig besser als jene von grossen Konzernen. Dieses Phänomen konnte in Studien für praktisch alle Aktienmärkte der Welt und bis zurück in die 1930er Jahre nachgewiesen werden.
Der Effekt lässt sich relativ einfach illustrieren, indem man Unternehmen nach ihrer Grösse sortiert und dann die historischen Renditen zwischen unterschiedlichen Gruppen vergleicht. Und genau das haben wir in der untenstehenden Grafik für den Weltaktienmarkt von 2000 bis heute gemacht:
Wie du siehst, haben dabei erwartungsgemäss die kleinsten 20 Prozent aller Aktien mit einer Rendite von 12.5% pro Jahr am besten rentiert. Mit zunehmender Unternehmensgrösse nimmt die langfristige Rendite zuverlässig ab: Dabei übertreffen aber selbst mittlere und grössere Titel mit 8.9%, respektive 8.3% immer noch den breiten Aktienmarkt mit 6.2%. Nur die grössten Titel bleiben langfristig leicht hinter dem Aktienmarkt zurück. Die Top sieben mit 5.1% sogar noch stärker als die grössten 20 Prozent mit 5.4%.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Rallye der glorreichen Sieben also plötzlich ganz anders dar; nämlich als zwischenzeitliche Aufholjagd. Langfristig sprechen die Zahlen dagegen, in die grössten und bekanntesten Unternehmen zu investieren. Oft haben diese ihren Zenit, auch wenn es vielleicht nicht so scheint, bereits überschritten.
Tatsächlich gibt es auch aktuell Anzeichen, dass der unglaubliche Lauf der glorreichen Sieben zu Ende gehen könnte: Die Gewinne an den Aktienmärkten waren 2024 bereits deutlich breiter abgestützt als noch zuvor. Durchaus möglich also, dass es bald wieder heisst: small is beautiful.